Verkorkster Fotograf

Verkorkster Fotograf

Seine einstudierten, festen Fragen und seine zuckenden Augenbrauen wirken wie ein hermetisch abgeriegelter Kosmos. Er tut mir trotz all seiner Nervigkeit von Herzen leid, weil ersichtlich ist, dass er all das nie wieder ablegen wird. Diese Maske der Lockerness trägt er für immer. Viele Jahre harten Trainings werden sichtbar, wenn er nur einen Arm auf die Stuhllehne legt oder die Hand beim Zigarette anzünden leicht nach vorn dreht. Gott sei Dank fällt mir all dies jetzt schon auf, Gott sei Dank ist seine Performance für mich so durchschaubar. Gott sei Dank sitze ich nicht in zwei Jahren in unserer gemeinsamen Küche hinter ihm am Tisch, während er Geschirr spült, schaue seinen Nacken an und finde ihn plötzlich widerlich, diesen Nacken.

„Woran denkst Du.“ fragt er mich, ohne dass es nach Frage klingt. Es interessiert ihn auch nicht, was ich denke, er feiert nur kurz seine eigene Feinfühligkeit und Aufmerksamkeit. Er hätte auch sagen können: „ Denn siehe, wie cool ich bin; ich habe bemerkt, dass du abwesend bist und weise dich in vertraulich-väterlichem Ton darauf hin; denn siehe, ich habe es drauf.“

Ich winde mich. Ich will hier weg. Wäre ich im Stande, ihn nachhaltig zu zerstören, dann würde ich antworten: „ Mann, Junge, ich weiß, du meinst es nur gut und du bist kein schlechter Kerl aber so funktioniert das nicht! Dein Auftritt wird für immer nur mäßig kluge Frauen beeindrucken, die dich wiederum nicht interessieren und wenn du so weiter machst wirst du für immer der verwegene, einsame Thekensitzer bleiben, den du so fleißig einstudiert hast, der du aber ganz sicher nicht sein willst!

So wirst du nicht glücklich, glaube ich.“

Die Konsequenz meiner Ehrlichkeit hieße allerdings weitere Fürsorge. Das kann ich nicht. Das will ich nicht. Er ist ein Idiot. Ein bedauernswerter kleiner Idiot.

„In 40 Minuten habe ich meinen Termin beim Frauenarzt. Ich werde mich auf Papilloma-Viren testen lassen.“ denke ich. Das werde ich dir aber nicht erzählen. Weil selbst wenn es dich wirklich interessieren würde, so wärest du der Falsche für dieses Gespräch. Du wärst wahrscheinlich einen Moment lang tatsächlich aufmerksam, weil dich meine gehaltvolle Antwort irritieren würde. Für einen winzigen Moment wäre dir klar, dass dir just jemand vertraut. Und dass das selten der Fall ist.

Wir hätten jetzt die Chance auf ein richtiges Gespräch. Du könntest es sogar führen, weil doof bist du nicht! Du würdest mich fragen, was das genau ist, das Papilloma-Virus. Ich würde es dir erklären. Du würdest vielleicht sagen, dass deine Exfreundin mal eine Eierstockentzündung hatte. Ich würde fragen, wie diese behandelt wurde und ob sie gänzlich ausgemerzt wurde. Du würdest es mir erzählen. Und weil du nun einmal dein Schauspiel verlassen hast würdest du mir gestehen, dass du sehr einsam bist, seit sie dich verlassen hat und dass du deshalb so oft hier rumhängst, in diesem Café, obwohl du dich fehl am Platz und nicht wohl in deiner Haut fühlst. Weil du einfach zu einsam bist als dass du das Kommen, Gehen und Treffen so vieler Menschen ertragen kannst. Und weil wir nun beide die Intimität dieses Moments nicht mehr ertrügen, nähmen wir das schillernde Outfit der alten Dame, die unseren Tisch passiert, dankbar als Türenschließer an. Ich würde auf die Uhr sehen und sagen, dass ich nun los müsse. Wir würden uns anlächeln und sagen „Bis bald“. Während ich meine Tasche nehme sage ich „Pass auf dich auf“ und meine es ernst.

Und da du nicht aus deiner Haut kannst würdest du mich ab jetzt belagern. Auf eine subtile, anstrengende, schleichende Art. Bei jedem zufälligen Hallo in eben jenem Café würdest du mich mit Blicken und Bemerkungen ins Vertrauen zu ziehen versuchen. Wenn du angetrunken bist würdest du mich wie deine beste Freundin herzen wollen. Du würdest mich einmal zu oft fragen, wie das nun ausgegangen ist, mit meinen Viren. Du könntest mit meinem Vertrauen nicht umgehen. In deiner Not müsstest du mein Vertrauen für deine Show nutzen. Jedes Mal.

„Ich denk´an morgen“ sage ich. „Hab drei wichtige Termine und eine Menge Arbeit auf dem Schreibtisch“ sage ich.

„Bist wohl busy…“ antwortet er und führt dabei sein Glas zum Mund. Während er trinkt wirft er mir ein halbes Lächeln zu, welches all meine Verdächtigungen bestätigt. Ein gewieftes Lächeln, ein Cowboy-im-Stadtkostüm-Lächeln. Ein erprobtes Lächeln.

Ich sehe auf die Uhr und sage, dass ich nun los muss. Während ich meine Tasche nehme sage ich „Pass auf dich auf“ und meine es ernst.

 

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